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L'intruse

Oper in 2 Akten

Libretto: Stef Lernous nach Maurice Maeterlinck

Ein Auftragswerk der Vlaamse Opera und Internationale Kunstcampus deSingel, Antwerpen

© Noise Production Wien 2011/46

 

Uraufführung: 17. Mai 2011, Gent (Kunstencentrum Vooruit)

Weitere Aufführungen:

Gent: 18. & 21. Mai 2011

Antwerpen: 25. & 26. Mai 2011

Rotterdam: 29. Mai 2011

Besetzung / Cast

Le Roi: Omar Ebrahim

La Sœur / La Fille / L'épouse décédée: Hannah Esther Minutillo

Dirigent /conductor: Yannis Pouspourikas

Regie, Bühne und Kostüme /direction, scenery and costumes: Stef Lernous

 

Vor hundert Jahren gewann der berühmte, aus Gent stammende Maurice Polydore Marie Bernard, Graf Maeterlinck, der 1932 zum Grafen geadelt wurde, den Literaturnobelpreis. Bis zum heutigen Tag ist er der einzige Belgier, dem dieser Preis zuerkannt wurde. Ausreichender Grund den feinverästelten farbenreichen Klang von Dirk D’Ases Musik mit den eindrucksvollen und farbreichen Bildern von Stef Lernous in einer neuen Oper, inspiriert von Maeterlinks literarischem Oeuvre, zu verschmelzen.

 

One hundred years ago the renowned Ghent symbolist Maurice Polydore Marie Bernard, Count Maeterlinck, who was knighted in 1932, received the Nobel Prize for Literature. Until this day he is the only Belgian ever to be awarded this literary prize. This is sufficient reason to confront the rich sounds of spectral composer Dirk D'Ase with director-symbolist Stef Lernous’ flood of images in a new opera inspired by Maeterlinck’s work.

   

 

Synopsis / Exposé

Die Welt, die Stef Lernous mit Maeterlincks L’ Intruse erschuf, ist eine düstere und Angst einflößende. Mit Bruchstücken aus dem Oeuvre des berühmten belgischen Schriftstellers schafft er ein befremdendes und mysteriöses  Märchen, worin fundamentale Ängste und Fantasien des Menschen auf gezeigt werden. Alle typischen Merkmale Maeterlincks werden hier vorgeführt: Könige und Prinzessinnen, Blinde und Geliebte, verletzliche Mädchen und alte Männer, Schiffe und Meere, Jäger und Gejagte, Schatten und Mond, blaue Zimmer und düstere Türme. Und in einer suggestiven, mystischen, manchmal perversen Atmosphäre bewegen sich die Figuren und verlangen nach einander und nach den Geschöpfen ihrer Träume. Lernous schöpft aus dem Vollen, indem er die reichhaltige symbolische Kraft Maeterlincks einsetzt, um eine Stimmung zu kreieren, in der die Eindringlinge uns mit unseren eigenen düsteren Abgründen konfrontieren.

Stef Lernous uses Maeterlinck’s L’ Intruse as the starting point for his creation of a world that is both dark and frightening. Using excerpts from the work of Belgium’s most lauded author, he constructs a strange and mysterious fairytale in which fundamental human fears and fantasies appear. In it we see all the elements that characterise Maeterlinck’s work: kings and princesses, the blind and lovers, vulnerable girls and old men, ships and oceans, hunters and game, shadow and moon, and blue rooms and dark towers. The characters move in a suggestive, mystical and occasionally perverted atmosphere and long for each other and for the creatures of their dreams. Lernous makes good use of Maeterlinck’s rich symbolic tension to create an atmosphere in which the intruders confront us with our own profound personal darkness.

 

Kommentare und Grundstrukturen der musikalischen Symbolik in der Oper „L’intruse“ von Dirk D‘Ase

Als einer der wichtigsten Vertreter des Symbolismus stellt Maeterlinck oftmals den Menschen in seiner Hilflosigkeit gegenüber dem Tod dar. D’Ase erweitert diesen Gedanken noch um die These, dass der Mensch in seiner gesamten Existenz - also auch der irdischen - als Resultat seiner Erfahrungen und Prägungen dem Leben und Sterben hilflos gegenüber steht. Handlungen und  Entscheidungen werden ausnahmslos geprägt von unserem bereits gelebten Sein und sind daher kausal bedingt. Am Ende einer Gedankenkette oder einer Handlung steht immer der Anfang unserer Existenz, unserer Prägung.

Mittels Klangsymbolik verarbeitet D’Ase diese These in seiner Musik. Eine Technik die auf Zahlensymbolik, akustisch-visualisierte Symbolik und musikalische Symbolik aufbaut und von ihm geschaffen und entwickelt wurde. Die Klangsymbolik ist das Fundament seiner Kompositionstechnik, eine Technik die auch in jeder seiner sieben Opern exponiert zum Einsatz gelangt.

 

Der elektronische Part in der Oper L’intruse wird fast ausnahmslos von weißem und schwarzem Rauschen dominiert. Das Rauschen symbolisiert durch sein gleichmäßiges und weitläufiges Klangspektrum die Vielfältigkeit und die Unendlichkeit von Zeit und Raum. Gleich zur Beginn der Oper wird die Figur von Le Roi mit dieser Dimension konfrontiert, indem sein Part - von einer Posaune übernommen - dem weißen Rauschen gegenübergestellt wird. Die Posaune taucht - als symbolisches Königsinstrument -  akustisch stets in der Nähe des Königs auf. Sie kommentiert, interpretiert und duelliert sich mit seinem zweiten Ich und symbolisiert gleichzeitig das Jenseitige und das Übernatürliche im Gegensatz zum (noch) lebendigen König.

Diese Form der Dualität, beziehungsweise des sich Gegenüberstellens taucht in der gesamten Oper auf. So werden z.B. La Fille morte und L'épouse décédée durch eine Bassklarinette und eine Bassflöte akustisch vergegenwärtigt. Ein Duett der sehr tiefen Blasinstrumente, wobei der Luftzug als Symbol des Lebens und die Tiefe als Symbol des Todes agiert. Gegen Ende der Oper drückt sich diese Dualität formal aus: aus einer akustischen Maskierung schält sich ein Stillstand aus zwei Tönen heraus - Symbol für Leben und Tod - die sich wiederum zu einer Einheit - in einem Ton - zusammenschließen. Weil unser Leben erst seine tiefere Bedeutung durch den Tod, beziehungsweise der Tod durch das Leben erhält, sind beide unzertrennbar.

Die Verwendung des Interlocking Systems symbolisiert, aufgrund der stetig variablen Wiederholung, die Begegnung mit der Ewigkeit beziehungsweise das Ineinandergreifen von Leben und Tod. Die rhythmische Technik des Interlocking Systems, das zu einem Merkmal von D’Ases Kompositionen geworden ist, basiert auf dem Grundprinzip afrikanischer traditioneller Musik. Technisch gesehen sind es vor allem die verschraubten Strukturen sogenannter inhärenter Pattern, die er in seine Kompositionen einfließen lässt: komplexe Rhythmen, die als solche nicht gespielte, aber wahrnehmbare virtuelle Linien hörbar werden lassen. Jedes Instrument spielt ein individuelles rhythmisches Muster, im Zusammenspiel aller Instrumente werden die Rhythmen verwoben und ergeben einen eigenen, neuen Rhythmus. Diese Technik verwendet D’Ase auch in der Klanggestaltung, indem individuelle Melodien zu einer neuen virtuellen Klanglichkeit zusammenwachsen.

Spannend wird es auch beim Übergang zwischen 1. und 2. Akt, wo Le Roi den Tod scheinbar zu hören vermag, indem er mit dem großartigen Satz „et le vent hurle dans les couloirs comme un homme mourant lentement“ abschließt. Der 1. Akt klingt mit einem - hörbaren - weißen Rauschen aus um in das - nicht hörbare - schwarze Rauschen des 2. Akts über zu gehen; wie der Übergang vom Bewussten ins Perzeptive, vom akustisch Wahrnehmbaren in eine aufregende, spannende Stille - in den Tod?

Bei allem Symbolreichtum und den vielen musikalischen Materialien ist es Dirk D’Ase besonders wichtig, beim Zuhörer ein eindrückliches und umfassendes Bild der Charaktere zu zeichnen. D’Ase ist aber ein Freigeist und geht bei aller struktureller und inhaltlicher Sorgfalt im Sinne einer musikalischen Charakterisierung oft über die selbst auferlegten Regeln hinaus und lässt die Musik für sich sprechen wie ein Fluss, der manchmal aus geologischen Gründen den Lauf ändern muss, um an einer unerwarteten aber logischen Stelle wieder aufzutauchen.

 

Sänger

Le Roi ..…………………………………….……………Bariton

La Sœur

La Fille

L'épouse décédée …………………………………Mezzosopran

Orchester

2 Flöten (1. auch Piccoloflöte, 2. auch Alt- und Bassflöte), 2 Oboen (2. auch Englisch Horn),

2 Klarinetten in B (2. auch Bassklarinette in B), Trompete in B, Tenor Posaune,

Harfe, Akkordeon (E1 - g 4), Klavier (auch Celesta und keyboard),

3 Schlagwerker:

Xylophon, Vibraphon, Glockenspiel (c3 bis c5), Crotales (c3 bis c5), Röhrenglocken (d#1 bis f2), 2 Kleine Trommeln, 2 Bongos, 6 Tom-Tom (2 hoch / 2 mittel / 2 tief), Tamburin, Große Trommel (Standard), Große Trommel mit Fußmechanik, 2 Becken (<hängend> hoch / tief), 7 Gongs (f1 / g1 / b1 / h1 / c2 / c#2 / d2), 2 Tam-Tam (hoch / tief), 4 bis 5 Cans (hoch), 4 bis 5 Cans (tief), 2 Ago-go Bells, Bar Chimes, Triangel, 2 Wood Blocks, 2 Temple Blocks, 5 Holztrommeln, Schüttelrohr (Regenimitation), Peitsche, Rute, Quichada, Flexatone, Maracas, Guiro

Elektronik

1 Violinen, 2 Violinen, Viola, Violoncelli, Kontrabässe

 

Pressestimmen zu "L'intruse"

 

  Dirk D’Ase hat nun eine brillante, boshaft funkelnde Musik geschrieben, die dem etwa dreißigköpfigen Orchester eine staunenswerte Vielfalt an Klangfarben abgewinnt, aber auch die natürlich deklamierenden Singstimmen gut integriert.

Opernwelt, Ingo Dorfmüller

 

  Das Szenenbild stürzt den Zuhörer sofort in eine Mischung von beunruhigenden Bildern, ein David Lynch-artiger Mix von Vertrautem und Unheimlichem. Die Sprache Maeterlincks passt erstaunlicherweise gut dazu und die Musik schließt nahtlos an. Elektronisches Rauschen eröffnet die Oper, wie ein Eindringling in eine organische Klangwelt unterbricht es im Laufe der Vorstellung das Ensemble - ein sehr effizientes Orchester der Vlaamse Opera unter der Leitung von Yannis Pouspourikas. D’Ase lässt das Orchester pendeln zwischen Intensität und Mysterium. Die Musik sorgt für das Unheimliche, für das Gefühl der Loslösung von der Realität, wobei die expressionistischen Gesanglinien der Sopranistin Hannah Esther Minutillo und des ausgezeichneten Baritons Omar Ebrahim noch eine extra Intensität hin zu fügen. Beide Sänger werden flankiert von Schauspielern und Tänzern - die Bewegung  ist ein bestimmendes Moment im Gruselkabinett, das Lernous hier inszeniert hat.

Aber L’intruse ist keine schwere symbolische Vorstellung. Alle Maeterlinck Klischees werden bedient: ein klammes Schloss, wo der Atem des Todes durch die Gänge schleicht, ein durch Angstträume geplagter König mit einer jungen mysteriösen Braut. (…) Das ist „Pelléas et Mélisande“, in ihrer übersteigerten Form. L’intruse ist virtuos  gestaltet,  mit einer satt angesetzten Intensität, wie es nur eine Oper kann.

De Standaard, Maarten Beirens

 

  Der Stoff ist wie geschaffen für Dirk D’Ase, der seit „Red Rubber“, der ersten von inzwischen sieben Opern, ein eigenes an Esoterik grenzendes System der Klangsymbolik entwickelt. So benützt er elektronische Klänge wie weißes und schwarzes Rauschen, um Leben und Tod darzustellen. Am Ende vereinen sich beide Prinzipien in einer Shepard-Skala, einer scheinbar unendlich ansteigenden, aber zugleich auf der Stelle tretenden Tonfolge. Streng als Mann-Frau- Dualismus herausgearbeitet sind die Singstimmen. Die Bariton-Partie des Königs kennzeichnen häufige Taktwechsel und extreme Intervallsprünge. Glissandi führen über fast eine Oktave, häufig geht es ins Falsett oder in den Sprechgesang. Der Mezzosopran der Schwester dagegen ist deutlich melodischer geführt, ihr häufigstes Intervall: die Sekunde. Im Orchester dominieren Bläser und Schlagzeug. Das schrille Klangbild erinnert oft an den Soundtrack von Horrorfilmen und entfaltet eine bemerkenswerte Suggestionskraft. Die Qualitäten der Komposition waren bei Dirigent Yannis Pouspourikas bestens aufgehoben. Expressiv zupackend, geradezu reißerisch arbeitete er die orchestralen Effekte heraus, setzte das Orchester unter Dauer-Hochdruck und koordinierte das vertrackte Zusammenspiel hervorragend.

 

Das Opernglas 7-8/2011, G. Rademachers

 

„L' intruse, meine jüngste Oper und der Symbolismus des Maurice Maeterlinck“

Ausschnitte aus dem Vortrag, in der Reihe „Masterclasses - Musik denken“ an der Konservatorium Wien Privatuniversität, am 26. Jänner 2012

 

1911 gewann der aus Gent stammende Schriftsteller Maurice Maeterlinck, der 1932 zum Grafen geadelt wurde, den Literaturnobelpreis. Bis zum heutigen Tag ist er der einzige Flame, dem dieser Preis zuerkannt wurde. Diesen Umstand nahm die Vlaamse Opera zum Anlass, bei mir eine Oper zur Feier des 100 Jahrjubiläums der Nobelpreisverleihung in Auftrag zu geben.

 

Maurice Maeterlinck

 

Maurice Maeterlinck, 1862 geboren in Gent und 1949 verstorben in Nizza, gehörte zu den französischen Symbolisten, die die Abneigung gegenüber einem "klaren Sinn, Deklamationen, falscher Sentimentalität, und sachlicher Beschreibung" als ihr Ziel erkoren, "das Ideal in erkennbare Form zu kleiden", dessen "Ziel nicht in sich selbst liegt, sondern darin, das Ideal auszudrücken." Charles Baudelaire, Stéphane Mallarmé, Paul Verlaine und Arthur Rimbaud waren gemeinsam mit Maurice Maeterlinck die wichtigsten Vertreter des französischen Symbolismus.

 

Maeterlinck beschrieb den Symbolismus folgendermaßen: „Sobald wir etwas aussprechen, entwerten wir es. Wir glauben in die Tiefe der Abgründe hinab getaucht zu sein, und wenn wir wieder an die Oberfläche kommen, gleicht der Wassertropfen an unseren bleichen Fingerspitzen nicht mehr dem Meere, dem er entstammt. Wir wähnen eine Schatzgrube wunderbarer Schätze entdeckt zu haben, und wenn wir wieder ans Tageslicht kommen, haben wir nur falsche Steine und Glasscherben mitgebracht; und trotzdem schimmert der Schatz im Finstern unverändert.“ Maeterlinck geht somit immer stark auf die Sehnsüchte und Wunschvorstellungen des Menschen ein.

 

Er stellt in seinen Werken oftmals den Menschen in seiner Hilflosigkeit gegenüber dem Tod dar. Diesen Gedanken erweitere ich noch um die These, dass der Mensch in seiner gesamten Existenz, also auch der irdischen als Resultat seiner Erfahrungen und Prägungen dem Leben und Sterben hilflos gegenüber steht. Handlungen und  Entscheidungen werden ausnahmslos geprägt von unserem bereits gelebten Sein und sind daher kausal bedingt. Am Ende einer Gedankenkette oder einer Handlung steht immer der Anfang unserer Existenz, unserer Prägung. Das nackte Leben entpuppt sich als einzige Vollkommenheit.

 

Mittels Klangsymbolik verarbeite ich diese These in meiner Musik. Eine Technik die auf Zahlensymbolik, akustisch-visualisierte Symbolik und musikalische Symbolik aufbaut und von mir geschaffen und entwickelt wurde. Die Klangsymbolik ist das Fundament meiner Kompositionstechnik, eine Technik die nicht nur in jeder meiner sieben Opern exponiert zum Einsatz gelangt, sondern auch in vielen anderen Werken. Maeterlincks Werke wurden bereits mehrfach als Opern oder Orchesterwerke vertont. Die bekanntesten Opern sind wohl Claude Debussys Pelléas et Mélisande und Paul Dukas Ariane et Barbe-Bleue, aber auch die Symphonische Dichtung Pelleas und Melisande von Arnold Schoenberg oder die Schauspielmusik zu Pelléas et Mélisande von Jean Sibelius sind wichtige Stationen der Musikgeschichte.

 

Philosophische Betrachtungen zum Tod

 

Tod und Lebensphilosophie sind zwei Begriffe, die, wie es auf den ersten Blick scheinen mag, nicht zusammen passen. Da jedoch Tod und Leben zwei Seiten derselben Medaille sind, kann es keine Lebensphilosophie geben, die den Tod ausklammert. Zum Leben gehört der Tod. Nietzsche meint „hüten wir uns zu sagen, dass der Tod dem Leben entgegengesetzt sei“. Sein Blick auf den Tod charakterisiert seine Philosophie des transzendenzlosen Lebens, dessen Konsequenz seine Aussagen über den Tod sind. Er sagt: „Der Mensch verhält sich zum Tode.“ Das heißt, der Mensch ordnet sein Leben dem Wissen um die Unentrinnbarkeit des eigenen Sterbens unter. Aus diesem Blickwinkel wäre es in meinen Augen sinnvoller „sich dem Leben gegenüber zu verhalten“ und alle Gedanken und Handlungen dieser Prämisse unter zu ordnen. Umgekehrt ist das Wissen um das reine Nichts des Todes Grund dafür, die Angst vor dem, was im Leben noch bevorsteht, zu vermeiden: „Man hat den Tod nahe genug, um sich nicht vor dem Leben fürchten zu müssen“. Der Tod ist entweder das natürliche, unausweichliche Geschehen, oder er kann im Freitod durch unseren Willen herbeigeführt sein. Der Tod als Ende ist selbst nur ein Leben; durch die Weise, in der ich ihn ergreife, kann ich wie über Tod und Leben Herr sein: „man soll aus seinem Tod ein Fest machen, schreibt Nietzsche, und sei es auch nur aus Bosheit gegen das Leben: gegen dieses Weib, das uns verlassen will - uns!“

 

Die verschiedenen Religionen und philosophischen Richtungen führen zu den unterschiedlichsten Auffassungen über Leben und Tod. Besonders in unserer westlichen Zivilisation ist der Tod oft ein Tabuthema. Daher haben alle Sprachen euphemistische Ausdrücke, um den Tod zu umschreiben. Oft handelt es sich dabei um Ausdrücke, die anstelle der Endgültigkeit des Todes einen Übergang in ein potentielles Jenseits betonen. In der deutschen Sprache sind das Euphemismen wie: Verlassen, Hinscheiden, Heimgehen, Entschlafen gebräuchlich. Stirbt ein Mensch unter besonders qualvollen Umständen, spricht man umgangssprachlich auch von „krepieren“, um die menschenunwürdigen Umstände seines Todes zu betonen. Ein Soldat, der bei Kampfhandlungen ums Leben gekommen ist, wird als Gefallener bezeichnet. Weitere Redewendungen wie: den Löffel abgeben, den Hut nehmen, die letzte Reise antreten, über den Hades/Jordan gegangen sein, die Radieschen von unten anschauen, ins Gras beißen usw. werden in der Umgangssprache genau so oft angewendet.

 

Der direkte Umgang mit dem Tod ist seltener geworden, da er häufig nicht mehr im Kreise der Familie oder inmitten von Gefährten - wie etwa im Krieg oder im Katastrophenfall - eintritt, sondern in Kliniken, Sanatorien und Pflegeheimen. Der Leichnam wird von Bestattungsunternehmen übernommen. Der soziale Umgang mit dem Tod hängt besonders stark davon ab, ob eine Kultur den „Tod“ verleugnet oder bejaht.

 

Kommen wir nun zu meinen Vorstellungen und Auffassungen von Leben und Tod. Auffassungen die ich u.a. in der Oper „L’intruse“ aber auch in anderen Kompositionen musikalisch und symbolisch verarbeitet habe. Für mich ist das Leben die Zeit, die man sich zwischen Geburt und Tod in irgendeiner Form „um die Ohren“ oder „tot schlagen“ muss. Was erfindet der Mensch nicht alles, um seine Lebenszeit sinnvoll zu gestalten, wobei die Einschätzung dieser Sinnhaftigkeit von unseren physischen, emotionalen, geistigen Befindlichkeiten, kulturellen Hintergründen und unseren Trieben abhängig ist. Der Meditierende im Buddhismus, Hinduismus oder Jainismus, der bis zur Aufgabe des Körpers, als höchstes Ziel, die Erleuchtung oder das Erreichen des Nirwana anstrebt; der gestresste Konzernleiter oder Börsenmakler; der Protagonist auf der Bühne; der Extremsportler; die Menschen, die ihr ganzes Leben ausnahmslos nach dem gleichen Muster ablaufen lassen. Unterschiedlicher können sie nicht mehr sein und doch leben sie das gleiche biologische Leben, in der gleichen Dimension und einer ähnlichen Wahrnehmbarkeit. Was liegt also näher, als sich selbst und seine irdische Existenz mit einem Augenzwinkern zu betrachten und die sogenannte „unendliche Leichtigkeit des Seins“ als oberstes Gebot zu deklarieren.

 

Libretto / Inhalt

 

Mit Bruchstücken aus dem Oeuvre des berühmten belgischen Schriftstellers schafft Librettist und Regisseur, Stef Lernous ein befremdendes und mysteriöses  Märchen, worin fundamentale Ängste und Fantasien des Menschen aufgezeigt werden. Er setzt die reichhaltige symbolische Kraft Maeterlincks ein, um eine Stimmung zu kreieren, in der die Eindringlinge uns mit unseren eigenen düsteren Abgründen konfrontieren. Alle typischen Merkmale von Maeterlincks Schaffen werden in der Oper vorgeführt: Könige und Prinzessinnen, Blinde und Geliebte, verletzliche Mädchen und alte Männer, Schiffe und Meere, Jäger und Gejagte, Schatten und Mond, blaue Zimmer und düstere Türme. Und in einer suggestiven, mystischen, manchmal perversen Atmosphäre bewegen sich die Figuren und verlangen nach einander und nach den Geschöpfen ihrer Träume. Die Oper “L’ intruse” (Der Eindringling) verstrickt uns immer tiefer in Maeterlincks mysteriöses Universum.

 

Die Geschichte erzählt von einem König, der von einer weiten Seereise wieder heimkehrt. Seine Schwester erwartet ihn, will aber, dass er wieder abreist weil ihm das klamme Schloss, in dem er wieder leben will, seit dem Tod seiner Gattin, außer Alpträumen nichts mehr bieten kann. Der König beschließt aber zu bleiben und öffnet eine mitgebrachte Kiste, in der er eine Prinzessin aus einem fernen Land eingepackt hat und deren Anblick ihn bis zur Besinnungslosigkeit fasziniert. Alle fürchten sich vor dem fremden, unnahbaren, katzenartigen Wesen. Die Schwester des Königs warnt ihn eindringlich vor dem dunkeln Schicksal, das ihn erwartet, wenn er an seinen alten Sehnsüchten festhält.

Der unwiderrufbare Tod  schleicht unbemerkt ins Haus. Der König, in den Sog des Todes gezogen, redet mit seiner toten Gattin und mit einem Mädchen, das er noch kurz zuvor umgebracht hat. Langsam erblindend, schafft er es nicht mehr, Leben und Tod voneinander zu unterscheiden.

 

Musik

 

Die Komposition ist, so wie Leben und Tod, Tag und Nacht oder Ying und Yang,  formal und symbolisch nach einem dualistischen System aufgebaut. Beginnend mit dem Rauschen am Anfang der Oper. Aus dem flachen, weißen Rauschen entsteht eine Wellenbewegung, die die Ankunft des Königs über das Meer symbolisiert. Weißes Rauschen - ein akustisches Phänomen, bei dem der wahrgenommene Frequenzbereich den gesamten Hörbereich umfasst - symbolisiert, durch sein gleichmäßiges, unspezifisches und weitläufiges Frequenzspektrum mit konstanter spektraler Rauschleistungsdichte - die Vielfältigkeit und die Unendlichkeit von Zeit und Raum. Gleich zur Beginn der Oper wird die Figur des Königs mit dieser Dimension konfrontiert, indem sein Part - von einer Posaune übernommen - dem weißen Rauschen gegenübergestellt wird. Die Posaune taucht - als symbolisches Königsinstrument -  akustisch stets in der Nähe des Königs auf. Sie kommentiert, interpretiert und duelliert sich mit seinem zweiten Ich und symbolisiert gleichzeitig das Jenseitige und das Übernatürliche im Gegensatz zum (noch) lebendigen König.

 

Neben der musikalischen Darbietung wurde die Bühne auch von einem Bewegungschor, bestehend aus Schauspielern bespielt. Die flämische Theatertruppe „Abattoir Fermé“ (zu Deutsch: zugesperrter Schlachthof) macht Theater über fundamentale Ängste, Verlangen und Obsessionen, die der Mensch rationalisieren will, weil diese extreme Aspekte des Lebens sind. Dabei bedienen sie sich einer Sprache, die nicht naheliegt und auf Ikonografie, Symbolik, Bildern aus dem kollektiven Bewusstsein und Sinnlichkeit fußt. Im Wesentlichen besteht ein Interesse an der Trennung zwischen Individuum und Schicksalsbestimmung. Der Ausgangspunkt des Arbeitsprozesses liegt stets in der Faszination an Außenseitern und der Suche hinter dem Vertrauten. Stef Lernous, der Regisseur und Librettist der Uraufführung hat dieses Ensemble gegründet.

 

Hier bin ich wieder, altes Haus

Zurück gekommen, über den dunkeln Ozean

Aus den Ländern der Nacht mit schwarzen Stränden

Worauf seit langem

Kein Mensch mehr einen Fuß gesetzt hat

 

Schwarzes Wasser perlt eine Mauer hinunter

Ein weinendes Haus

Die Blumen auf der Tapete ähneln Unterwasserpflanzen

Morgennebel schleicht durch die Ritzen

Ins Haus hinein über den Flur

Und verschwindet in einen Spalt

 

Ein Turm, in dem der Wind heult

Wie ein Mensch der langsam stirbt

Im Herzen der Düsternis

Liegt am Boden aus kaltem Gestein

Eine Prinzessin die wachend schläft

 

Die Dualität, beziehungsweise die Gegenüberstellung, zieht sich wie ein roter Faden durch die gesamte Oper. So wird zB. der elektronische Part  fast ausnahmslos von weißem und schwarzem Rauschen dominiert, oder der 1. Akt dem Diesseits und der 2. Akt dem Jenseits gewidmet. Während der König seinen Eingangsmonolog zu Ende singt, erscheint seine Schwester die ihn nach seiner langen Abwesenheit begrüßt und ihn gleichzeitig wieder auffordert zu gehen, weil ihm das klamme Schloss, in dem er wieder leben will, seit dem Tod seiner Gattin, außer Alpträumen nichts mehr bieten kann. Hier werden wir musikalisch zum ersten Mal konfrontiert mit dem Interlocking-System, eine Kompositionstechnik die vermehrt in der Oper erklingen wird.

 

Die Schwester

 

Warum bist zurückgekommen

Hier wirst du nichts mehr finden

Seit dem Tod deiner Frau

Dieses Haus trägt Trauer

Es ist kalt, mein lieber Bruder

 

Der König

 

Welch Freude dich zu sehen

Es ist gut zu Hause zu sein

Bald wird die Winterkälte weichen

Ich bin glücklich hier zu sein

 

Die Schwester

 

Es ist nicht der Winter der mir Sorgen macht

Aber die Kälte, als wäre das Herz durchstochen von einem Dämon

 

Wir sind die letzten eines dürren Astes

Mit meiner Seele, bebend auf meinen Lippen

Flehe ich dich zu gehen

Wir sind die letzten, lieber Bruder

Wir sind alleine

Der König beschließt, trotz aller Warnungen zu bleiben und öffnet eine  Kiste, in der er eine Prinzessin aus einem fernen Land mitgebracht hat und deren Anblick ihn bis zur Besinnungslosigkeit fasziniert. Alle fürchten sich vor dem fremden, unnahbaren, katzenartigen Wesen. Dieses metaphysische Wesen symbolisiert die Ewigkeit und wird in der Oper durch die Zahl 8 vertreten. Die Lemniskate oder die Endlosschleife - ein liegende 8 - ist in der Mathematik das Symbol der Unendlichkeit. In der Musik präsentiert sich diese Lemniskate in Form einer gleichtönigen Wiederholung von je 8 Tönen, bez. in ihrer Aufsplitterung mittels aufsteigenden 4er Gruppen.

 

Elle est si jolie

Dans sa chevelure elle porte la nuit

Dans ses yeux les astres

Je veux me perdre dans ce ciel ténébreux

Elle est vraiment ravissante

 

Sie ist schön

In ihren Haaren trägt sie die Nacht

In ihren Augen die Sterne

Ich möchte mich verlieren in den dunklen Himmel

Sie ist wirklich hinreißend

 

Nachdem der König die fremde Kreatur in seinem Gesang glorifiziert hat, bricht eine wilde Orgie los. Hier verwende ich das bereits angesprochene Interlocking-System, dass aufgrund der stetig variablen Wiederholung, die Begegnung mit der Ewigkeit beziehungsweise das Ineinandergreifen von Leben und Tod symbolisiert. Die rhythmische Technik des Interlocking-Systems, das zu einem Merkmal meiner Kompositionen geworden ist, basiert auf dem Grundprinzip afrikanischer traditioneller Musik. Technisch gesehen sind es vor allem die verschraubten Strukturen sogenannter inhärenter Pattern, die in die Kompositionen einfließen: komplexe Rhythmen, die als solche nicht gespielte, aber wahrnehmbare virtuelle Linien hörbar werden lassen. Jedes Instrument spielt ein individuelles rhythmisches Muster, im Zusammenspiel aller Instrumente werden die Rhythmen verwoben und ergeben einen eigenen, neuen Rhythmus. Diese Technik verwende ich auch in der Klanggestaltung, indem individuelle Melodien zu einer neuen virtuellen Klanglichkeit zusammenwachsen. Das Interlocking System habe ich bei meinen Forschungsreisen im südlichen Afrika kennen gelernt und aufgrund meiner Faszination für die unerschöpflichen musikalischen Ausdrucks-möglichkeiten für meine Kompositionen ausgebaut und weiter entwickelt.

 

Als die Orgie zu Ende geht, löst sich ein Mädchen aus den Reihen der Festgäste und erzählt dem König eine Geschichte von einem unbekannten Tier, das gejagt wird und nie gefunden wird, wodurch die Jäger, in ihrem Ehrgeiz das fremde Tier zu erlegen, ihr ganzes Königreich verlieren. Eine typische Metapher Maeterlincks. Währenddessen nähert sich die fremde Kreatur den beiden und als das Mädchen über sie stolpert, verliert der König die Besinnung und erwürgt, von Panik erfasst das junge Mädchen. Der König steht fassungslos da und vermag nun scheinbar den Tod zu hören, indem er ihn mit dem großartigen Satz „et le vent hurle dans les couloirs comme un homme mourant lentement“ (und der Wind heult durch die Gänge wie ein Mensch der langsam stirbt) zu erkennen glaubt. Der Übergang vom 1. zum 2. Akt signifiziert den Übergang vom Diesseits ins Jenseits. Der 1. Akt klingt mit einem - hörbaren - weißen Rauschen aus um in das - nicht hörbare - schwarze Rauschen des 2. Akts über zu gehen; wie der Übergang vom Bewussten ins Perzeptive, vom akustisch Wahrnehmbaren in eine aufregende, spannende Stille - in den Tod?

Was ist nun dieses schwarze Rauschen?

 

Rauschen wird im Wesentlichen durch die Verteilung der Rauschenergie über die Bandbreite bestimmt. Ist die Rauschenergie konstant über ein Frequenzband, spricht man von weißem Rauschen, ist keine Rauschenergie vorhanden, handelt es sich um schwarzes Rauschen. Schwarzes Rauschen hat, wie bereits erwähnt,  keine Rauschenergie, nur einige zufällige Spikes („Spitze, Dorn“ ist eine kurzzeitige Falschaussage in logischen Schaltungen und temporären Verfälschungen). Wahrnehmbar ist das schwarze Rauschen nicht akustisch aber man kann die Vibrationen spüren und daraus ergibt eine beklemmende nicht zuordenbare Spannung, die der Komposition an dieser Stelle eine besondere Intensität verleihen soll. Farbiges Rauschen, das nicht exakt spezifiziert ist, ist dadurch gekennzeichnet, dass die Rauschenergie eine über- oder unterproportionale Frequenzabhängigkeit aufweist.

 

Die formale und symbolische Dualität setzt sich auch im 2. Akt - der Akt des Jenseits - fort. Gleich am Anfang treten zwei Schlagzeuginstrumente - ein Set mit 7 Gongs und 11 Röhrenglocken, sprich mit 7 Tönen der Gongs und 11 Tönen der Röhrenglocken - in einen Dialog. 7 ist in der Zahlensymbolik die Zahl der Vollkommenheit, die sich wiederum aus den Zahlen 3 <Zahl des Göttlichen, wie die  Dreifaltigkeit oder wie Aristoteles meinte: "drei ist soviel wie alles"> und 4 <Zahl des Körperlichen und des Irdischen, wie die 4 Elemente, 4 Himmelsrichtungen, 4 Mondphasen, 4 Jahreszeiten usw.> 3+4 ergibt somit die 7. 11 ist die Narrenzahl - sie gilt als Zahl der Maßlosigkeit, der Sünde und als teuflische Zahl. Im Mittelalter kennzeichnete sie alle Menschen, die außerhalb der Sittengesetze standen. Sie überschreitet nicht nur das, was anhand der zehn Finger menschlicher Hände, sondern auch in der Zahl der gottgegebenen "Zehn Gebote" fassbar ist. Heute gilt die Zahl 11 allgemein als närrische Zahl, denken wir nur an den Faschingsanfang am 11.11. um 11 Uhr 11.

 

Hier kommunizieren Vollkommenheit (aus unserer Sicht vielleicht das Leben?) - 7 Gongs- und die Überschreitung des Geordneten (der Tod?)-11 Röhrenglocken- mit demselben Tonmaterial. Gongs und Röhrenglocken sprechen dieselbe musikalische Sprache, indem sie sich, gegenseitig ergänzen und wiederholen. Dieser Gong-Glocken Dialog wird 2 Mal von 2 unterschiedlich geordneten 12 Tonakkorden unterbrochen - Alle 12 Töne unseres Tonsystems werden in dem 12 Tonakkord vertreten und über den gesamten Orchesterumfang (knapp 8  Oktaven) gespielt. Hier ziehe ich eine Parallele mit dem weißen Rauschen, indem die Zahl 12 und die 12 Töne die Vollkommenheit abbilden (es gibt eben nur 12 Töne in unserem Tonsystem) und die zwei Akkorde wiederum die Dualität darstellen. Nachdem dieses Tonmaterial zu Ende geführt ist, leitet das tiefe Hauchen der Bassklarinette den Monolog des Königs ein.

 

Während der König den Satz singt „et le vent hurle dans les couloirs comme un homme mourant lentement“ (und der Wind heult durch die Gänge wie ein Mensch der langsam stirbt), hören wir elektronisch manipulierte Sprechstimmen, die diesen Satz in einzelne Wortfetzen zerlegen. Nachdem der Monolog des Königs, in sehr abgehackter Art kommentiert vom toten Mädchen, abrupt beendet wird, erklingt erneut die Bassklarinette diesmal im Dialog mit einer Bassflöte. Bassklarinette und Bassflöte vergegenwärtigen akustisch die verstorbene Gattin ein Duett der tiefen Blasinstrumente, wobei der Luftzug als Symbol des Lebens und die tiefen Frequenzen als Symbol des Todes agieren. Die verstorbene Gattin warnt ihren Gemahl - den König - abermals davor weiterhin in seinem Schloss zu verweilen. Vergebens. Der König altert, erblindet und vereinsamt. Durch seine Vereinsamung drehen sich seine Gedanken immer stärker im Kreis der Paranoia.

 

Das Ende der Oper baut wiederum auf das dualistische Prinzip auf: aus einer akustischen Maskierung schält sich einerseits ein Glissando ins Unendliche, andererseits ein Stillstand aus zwei Tönen heraus. Zuerst wird diese akustische Maskierung mit weißem Rauschen produziert, mittels einer Shepard-Skala - das ist die akustische Illusion einer, in dem Fall unendlich ansteigenden Tonleiter, die niemals die Grenze des eigenen Gehörs übersteigt. Aus der Wellenbewegung, die wir vom Anfang der Oper kennen und die Ankunft des Königs über das Meer symbolisiert hat, löst sich ein Glissando, dass sich ins Unendliche auf zu lösen scheint. Nachdem der König seinen Schlussmonolog mit verebbenden Atemzügen, seines zu Ende gehenden Lebens abschließt, wird die akustische Maskierung diesmal vom Orchester übernommen. Sie kommt, im Gegensatz zum scheinbar ins Unendliche führende Glissando der elektroakustischen Ausführung, zu einem Stillstand und verharrt auf zwei Tönen - Symbol für Leben und Tod - die sich wiederum zu einer Einheit - in einen Ton - zusammenschließen. Unser Leben erhält erst seine tiefere Bedeutung durch den Tod, beziehungsweise der Tod durch das Leben, deshalb sind beide unzertrennbar.

 

Wir hören und sehen wie der König langsam aber sicher den Übergang vom Diesseits ins Jenseits vollzieht. Akustisch auch unterstützt durch die Umsetzung auf der Bühne, indem eine Badewanne langsam zum Überlaufen gelangt und die schwarzen Wassertropfen schwer zu Boden rinnen. Das rinnende Wasser verschmilzt mit dem weißen Rauschen, so wie wir es vom Anfang der Oper bereits kennen. Der ewige Kreislauf, vom Geben und Nehmen, von Leben und Tod, von Geburt und Reinkarnation geht seinen gewohnten Weg.

 

Et quand j'essaie de m'arracher de l'obscurité

Une dentelle noire m'empêche la vue

Ou je découvre

un gouffreimmense devant mes pieds

Et là quelque chose bouge

Cela bouge

C'est mon cœur

Ma chair

Mon sang

 

Und wenn ich versuche

Mich aus der Dunkelheit

Zu befreien

Dann verdeckt mir

Eine schwarze Kante die Sicht

Oder ich entdecke

Einen immensen Abgrund vor meinen Füßen

Und da rührt sich was

Etwas rührt sich

Es ist mein Herz

Mein Fleisch

Mein Blut

 

Conclusio

 

Als Opernkomponist steht man immer wieder vor derselben, für mich größten Herausforderung, nämlich ein spannendes und packendes Libretto für die Vertonung zu finden. Bereits beim ersten Durchlesen sprangen mir die Symbolkraft, die Mystik und die lautmalerische Qualität der gebündelten Sätze, wie auch die beklemmende und faszinierende Stimmung dieses Textes ins Auge und ins Ohr. Dadurch war ich auch in der Lage die Worte gleich in das akustische Äquivalent zu  übersetzen. Stef Lernous hat aus verschiedenen Werken Maeterlincks ein spannendes Psychogramm einer Metamorphose zusammengestellt. Eine Metamorphose der biologischen Entfaltung die wir alle schon bei unserer Geburt haben durchleben müssen. Maeterlincks symbolträchtige Sprache kann uns dabei helfen, uns an das erste Bewusstwerden dieser irdischen Existenz zu erinnern. Musikalisch habe ich versucht, diese Botschaft in eine emotionale Sprache der Bewusstwerdung zu übersetzen.

 

Meine Conclusio: Geburt und Tod sind Eins und wir haben uns weder vor dem Tod noch vor dem Leben zu fürchten.

 

© Dirk D’Ase, 2011