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Synopsis - Besetzung - Kommentare zum Libretto - Die Klangsymbolik - Pressestimmen

 

  EINSTEIN in Amerika

     Musikdrama in 2 Akten

      Libretto von Gustav Ernst

      Noise Production Wien 2003/38

 

      Ein Auftragswerk der Stadt Ulm anlässlich des 125. Geburtstages von Albert Einstein

 

 

 

  Am 14. März 1879 wurde Albert Einstein in Ulm geboren. Zur Feier seines 125. Geburtstages gab die  Stadt Ulm eine große Oper über Albert Einstein bei Dirk D’Ase in Auftrag. Die Oper erlebte ihre Welturaufführung als Höhepunkt der Gedenkfeiern in Ulm in der Woche von Einstein’s Geburtstag am 18. März 2004 im Ulmer Theater.

„Einsteins Schaffen war im wahrsten Sinne des Wortes von Licht durchflutet, seine wichtigsten Arbeiten stützten sich auf dieses Phänomen. Mit der Suche nach Einsteins „Licht“ in der Form eines passenden Stoffes für eine Oper stürzte ich mich in ein unerwartet turbulentes Abenteuer mit vielen Hindernissen,  die es zu überwinden gab. Ich suchte bewusst nach einem Stoff, der die abgedroschenen Einstein Klischees vermied und eine in sich geschlossene Handlung erzählte. Gemeinsam mit Gustav Ernst kreierte ich schliesslich eine höchst emotionale Oper die Einstein aus der ungewohnten dreidimensionalen Perspektive betrachtet: ein Mensch, der als Genie anerkannt war und trotz gewaltiger ethischer Konflikte, sein Leben in vollen Zügen genossen hat und seinem Ende in Frieden und Gelassenheit entgegen sah.

Das Libretto erzählt von der Menschlichkeit und Weisheit dieses großen Mannes, der letztendlich die volle Verantwortung für sein Schaffen übernahm. Die Oper portraitiert den Menschen Albert Einstein und bringt viele Details seines Lebens, die der breiten Öffentlichkeit wohl unbekannt sind zur Sprache. Nachdem ich nun 2 Jahre an dieser Oper gearbeitet habe, fühlt es sich so an, als wäre Einstein mein direkter Nachbar. Als ich erkannte welche Art von Mensch er war, wurde er so etwas wie ein Freund für mich.“ (Aus einem Interview mit Dirk D’Ase)

Die Dramaturgie der Musik ist in drei ineinanderfließenden Ebenen aufgebaut. Zwei Piloten, die sich gerade auf dem Flug zum Abwurf der ersten Atombombe auf Hiroshima befinden, sitzen getrennt vom Bühnengeschehen im Cockpit und unterhalten sich über die Bombe und ihr Soldatenleben. Der Hauptstrang der Geschichte, die in Princeton im Jahre 1952 in Einsteins Wohnhaus und in seinem Arbeitszimmer im Institute for Advanced Studies in Princeton spielt, schildert die Begegnung mit Hollberg, einem Regierungsbeauftragten der McCarthy-Ära, der Einstein zwingen will, vor dem „Ausschuss für unamerikanische Umtriebe“ zu erscheinen. Als Einstein darauf nicht reagiert, eskaliert das Geschehen. Auf Seiten Einsteins stehen Sarah, eine kluge und neugierige Journalistin und Franklin, Einsteins Assistent am Institut. Weite Strecken der Geschichte basieren auf wahren Begebenheiten. In der dritten Ebene des Geschehens steht der Chor, der Einsteins Gedankenwelt reflektiert, indem er an ausgewählten Stellen japanische HAIKUS und TANKAS wie Texte von Kriegskindern wiedergibt.

Besetzung

ALBERT EINSTEIN...................................................................................................Bariton

73 Jahre alt, unordentliche Kleidung, trägt Sandalen ohne Socken.

 

HOLLBERG.................................................................................................................Tenor

Regierungsbeauftragter der McCarthy-Ära, mit undefinierbarem Alter. Arrogant und unappetitlich.

SARAH.............................................................……..................................................Sopran

Um die 30, Fotografin, klug, eifrig und attraktiv.

FRANKLIN....………………………………...........................................................................Tenor

Einsteins Assistent am "Institute for Advanced Studies", jung und engagiert.

COLONEL...........................................................................................................Sprechrolle

Junger Pilot im Cockpit des B-29-Bombers "Enola Gay", führt das Kommando,

hat bereits einen langen Flug hinter sich. 

CAPTAIN............................................................................................................Sprechrolle

Junger Copilot im Cockpit des B-29-Bombers "Enola Gay", neugierig und unterhaltsam,

hat bereits einen langen Flug hinter sich.

 

TONBAND:

- 2 Stimmen aus dem Funkgerät der "Enola Gay" von Captain Parsons und vom Navigator

- 3 Stimmen der Piloten der drei Wetterflugzeuge "Straight Flush", Jabitt III" und "Full House"

- Chor (SSS AAA TTT BBB)

 

Ort der Handlung

 

Herbst 1952. Albert Einsteins Haus und im „Institute for Advanced Study“ in Princeton.

Die Piloten befinden sich im Cockpit eines B-29 Bombers „Enola Gay“ über dem Pazifik.

 

Orchester

3 Flöten (2. auch Altflöte und 3. auch Piccoloflöte), 2 Oboen, 2 Klarinetten, Bassklarinette, Fagott, Kontrafagott

3 Trompeten, 4 Hörner, 3 Posaunen, 1 Basstuba, Harfe, Akkordeon (Knopfgriff), Klavier (auch Celesta)

4 Schlagzeuger: Xylophon, Glockenspiel, Crotales,Vibraphon, 4 Pauken, 2 Kleine Trommeln , 2 Bongos, 3 Tom Tom, Große Trommel <Fuß>, Große Trommel <standard>, Wood Block, 2 Temple Blocks, Triangel, Agogo Bells, 4 Canbox, Becken <groß, hängend>, Tam Tam <Tief>, Peitsche, Rute, Guiro, Tamburin, Quijada, Ratsche

Streicher (groß besetzt)

Die Klangsymbolik in der Oper

Einstein in Amerika

 

„Wenn einer mit Vergnügen zu einer Musik in Reih und Glied marschieren kann, dann verachte ich ihn schon; denn er hat sein Grosshirn nur aus Irrtum bekommen...“ Einsteins Zitat führt uns wieder einmal treffend vor Augen wie gut er es verstand, Situationen plastisch und sinngemäss in Worte zu fassen. Seine unzähligen Aphorismen, Zitate und Kommentare sind allgemein bekannt und beliebt. Was weniger bekannt ist, war sein Zugang zu Musik als der eines Amateurgeigers, der mit viel Hingabe immer wieder im Freundeskreis kleine Konzerte bestritt. Seiner Weltoffenheit zum Trotz ging sein musikalisches Verständnis aber nicht über Bach, Mozart und Schubert hinaus. Zu Wagner meinte er: “Ich empfinde den Mangel an architektonischer Struktur als Decadence und kann ihn nur mit Widerwillen anhören.“ während er für Brahms folgende Worte übrig hatte:“... die meisten Werke haben für mich keine innere Überzeugungskraft. Ich begreife nicht, warum es notwendig war, sie zu schreiben.“ und „Debussy ist strukturarm. Grosse Begeisterung kann ich für so was nicht aufbringen.“ Hingegen war Beethoven ihm wieder zu dramatisch und zu persönlich. Auch in anderen Kunstgattungen war die Moderne für ihn ein regelrechter „Graus“.

Nein, musikalisch konnte ich mich wahrlich nicht auf seine Auseinandersetzung mit der Gattung Musik stützen. Da war es schon eher angebracht, mich auf seine Stärken als Physiker, als Humanist, als der Wortgewaltige und als Philanthrop zu konzentrieren. Wenn man anfängt, sich mit Einstein auseinander zu setzen, fallen als erstes die vielen Berechnungen und die Neugier nach der Unendlichkeit des Weltalls auf. Und so begann ich einen Weg zu suchen, dieses physikalische und mathematische Denken in Klang und Form zu übersetzen.

Einige seiner physikalischen Vorstellungen konnte ich unmittelbar in Musik umsetzen, andere wieder sollten symbolisch vergegenwärtigt werden. So z.B. galt lange Zeit die Theorie, dass das Licht eine Wellennatur darstellte, die sogenannte „Maxwellsche Elektrodynamik“. Einstein stellte diese Theorie in Frage und entdeckte die Lichtquanten, die den photoelektrischen Effekt erklärten, wofür er 1922 auch den Nobelpreis bekam. Diese physikalische Erscheinung der Lichtpartikel setzte ich akustisch so um, dass ich auf einen liegenden Klang  rhythmisch gleichmäßige Impulse aufsetzte und somit die Lichtpartikel akustisch „visualisierte“. Eine simple, aber klare Vergegenwärtigung der komplizierten Theorie.

Mit dieser ersten Annäherung war der Weg für die kompositorische Weiterentwicklung geebnet und ich liess das musikalische Material der Oper auf Klangsymbolen beruhen, die jeweils eine Verbindung mit Zahlensymbolik (z.B. Protagonisten), akustisch-visualisierte Symbolik (z.B. Lichtpartikel) oder musikalischer Symbolik (z.B. Japanisches Klagelied) aufweisen. Das musikalische Material wurde in vier Hauptgruppen, die jeweils einem der Protagonisten zugeordnet sind, unterteilt. Sprich, die erste Gruppe hat ausschliesslich mit Einstein zu tun: der Visionsakkord und Relativitätstheorie, die Wahrheit und Schopenhauer, die Tochter, usw... Die zweite mit Sarah, die dritte mit Hollberg und die vierte mit Franklin. Die Piloten werden musikalisch nicht unterstützt und spielen daher in dieser Analyse keine Rolle.

Einstein wird mit 7 Tönen symbolisiert. 7 ist die Zahl der Vollkommenheit (3 <Zahl des Göttlichen> + 4 <Zahl des Irdischen> = 7) womit das Ausmass seiner geistigen und weltlich-sozialen Überlegenheit unterstrichen wird. Diese 7 Töne werden grundsätzlich von 4 kontrapunktisch eingesetzten Stimmen begleitet, wodurch ein 5-stimmiger Kontrapunkt entsteht (4+1). Die Zahl 5 ist die Zahl des Wandels, der Sinnlichkeit und des Abenteuers. Einstein hat trotz seiner ungeheuerlichen Intelligenz sein Leben in vollen Zügen genossen. Durch die horizontale Verwendung der 7 als Linie, und ihrer kontrapunktischen, vertikalen Verarbeitung in 5 Stimmen werden die wichtigsten Pfeiler seines Wesens zahlensymbolisch dargestellt: Weisheit (3), Stärke (4) und Schönheit (5).

Die wissenschaftliche Arbeit wird durch eine agile Linie über fast drei Oktaven dargestellt. Der Gegensatz, die verlorene Arbeit, die Hollbergs Verachtung vor Einsteins Tätigkeit, das Verbrennen der Unterlagen oder die apokalyptische Vernichtung durch die Atombombe symbolisiert, wird durch die serielle Umkehrung der agilen Arbeitslinie nachempfunden. Während die Arbeit aus 10 Tönen besteht, verwandelt sich die verlorene Arbeit in eine dodekaphonische Reihe. Als Kombination von 1 und 0 symbolisiert die 10 die beiden ersten Elemente aller Metaphysik, nämlich Sein (1) und Nichts (0). Sie gilt heute als die mathematische Grundlage der Digitalisierung; die gesamte Zahlenwelt ist nach Zehnerpotenzen geordnet und wir rechnen in einem Diametralsystem. Die verlorene Arbeit, mit ihrem eruptiven Aufschrei, symbolisiert nicht bloss die Vergänglichkeit der dodekaphonischen Komponiertechnik sondern vor allem die Vergänglichkeit der Menschheit auf Erden. Es ist zweifellos der markanteste Aufschrei in der gesamten Oper. Sie kündigt den Auftritt Hollbergs an, unterstreicht das gewaltsame Eindringen ins Institut und nicht zuletzt die Explosion der A-Bombe am Ende der Oper.

Der Visions- und Relativitätstheorieakkord ist ein neun-stimmiger Akkord der sich durch die ganze Oper bewegt. Die Hauptbedeutung der 9 ist, dass sie die Macht der göttlichen Zahl als mathematische Potenz von 3 zeigt. Der Akkord in seiner multiplen Zerlegung erscheint überall dort, wo das Visionäre und Unbegreifbare stattfindet. Als Sarah ihn nach seiner Familie fragt, zitiert Einstein einen Satz aus dem Gedicht „Ich bin der Welt abhanden gekommen“ von Friedrich Rückert. Gustav Mahler setzte in seinen „Sieben Liedern aus der letzten Zeit“ dieses Gedicht in eine zutiefst traurige Melodie um. Diese Melodie, die uns nicht zuletzt wegen der vielen Vorhalte stark an Kletzmermusik erinnert, habe ich in die Oper einfliessen lassen. Natürlich nicht als wörtliches Zitat des grossen Meisters sondern als Fragment, das, ab seinem ersten Aufscheinen in der 4. Szene des 1. Akts bis zum letzten Wort Einsteins im Epilog immer wieder als Splitter auftaucht und sich immer weiter weg von seinem Ursprung entwickelt.  In der Einsteingruppe gibt es noch das Göttliche und die Tochter.

Hollberg ist ein Regierungsbeauftragter der Ära McCarthy, ein rastloser Mensch der nur noch mittels Aggression und Gehässigkeit kommunizieren kann. Sein Symbol ist die Spirale, die Spirale der Gewalt. In meiner Oper nenne ich sie die „Hollbergspirale“. Triolen mit kleinen Intervallen bewegen sich immer weiter auseinander und gipfeln, wie ein Schrei, in einem hohen Ton. Hollberg verkörpert die düstere zerstörerische Macht im Menschen. Wo er auch auftaucht, sind seine Drohungen nie weit entfernt. Diese Drohungen werden charakterisiert durch eine zackenartige, aufsteigende Linie im Xylophon. Die Gipfelung der Drohung ist die blosse Gewalt, die Hollberg immer wieder verbal aber auch physisch auf seine Mitmenschen ausübt. Die Gewalt wird mittels absteigenden Nonen Intervallen, die vom gesamten Orchesterapparat gespielt werden, vergegenwärtigt.

In der 6. Szene des 1. Akts bricht er im Institut ein um Einstein zu einer Vorladung vor dem Komitee für unamerikanische Aktivitäten zu zwingen. Symbolisch habe ich diesen Gewaltakt mit einem Feuer verglichen das sich stetig ausbreitet. Es ist eine serielle Reihe mit 21 Tönen die sich kanonisch ausbreitet. Die 21 ist die siebente Zahl aus der Fibonacci Reihe, die von der Zahl 1 ausgehend immer die letzten zwei Zahlen addiert (1, 1+1=2, 1+2=3, 2+3=5, 3+5=8, 5+8=13, 8+13=21). Diese Entwicklung des goldenen Schnitts symbolisiert die rasche Verbreitung eines vernichtenden Feuers; ein Funken löst einen immer grösser werdenden Brand aus. Zur selben Zeit erklingt noch die dodekaphonische Reihe der verlorenen Arbeit durch. Dieses Material wird in der 2. Szene des 2. Akts, wo Hollberg die Dokumente zu verbrennen droht, wieder aufgenommen, indem es diesmal vom Chor in einem pianissimo Glissando verarbeitet wird.

Sarah ist die jüngste Protagonistin in unserer Geschichte. Neugierig, klug und attraktiv tritt sie Einstein gegenüber. Sie ist das Symbol der Jugendlichkeit und der Hoffnung. Um sie herum sind immer wieder „Sternenklänge“ zu hören, in Pizzicati aber auch vom Celesta, Glockenspiel und Klavier in Gruppen von 15 Tönen. Die Zahl setzt sich zusammen aus 5 x 3. In der Numerologie ist der „Fünfer Mensch“ aufgeschlossen und offen für alles Neue. Er hat hohe Ideale und reist gerne. Die 5 ist aber auch eine magische Zahl. In der 1.Szene des 2.Akts tritt  Sarah mit genau dieser Kraft der 5 der Gewalt von Hollberg gegenüber und leitet somit seine Zerstörung ein, das Pentagramm auf der Türschwelle  bannt den Teufel.

Franklin verkörpert den jungen engagierten Assistenten. Immer gut gelaunt und hilfsbereit erheitert er das Leben seiner Mitmenschen. Wegen seiner Leichtfüssigkeit und Begeisterung verbinde ich ihn musikalisch mit dem Jazz. Schlagzeug-, Posaune- Trompetensoli und ein jazzy Pizzicato in den Bässen begleiten ihn in einem sehr lebendig dargestellten Plädoyer für Einstein.

Als in sich geschlossene Form möchte ich noch die Passacaglia aus der 3. Szene des 2. Akts erwähnen. Diese Passacaglia ist ein Beispiel der kompositorischen Umsetzung eines komplexen graphisch-symbolischen Schemas das ich eigens für diese Oper entwickelt habe.

Der Epilog ist musikalisch ein eigenständiger Teil der Oper, worin Einstein sein Leben und die Entwicklung der Menschheit in Frage stellt. Er steht der Handlung kontemplativ gegenüber und hinterfragt den Sinn unseres Tuns und Seins. Dabei kommt er nicht an der A-Bombe und ihren katastrophalen Auswirkungen vorbei und wird von einem unerwarteten Teil seiner erfolgreichen Vergangenheit eingeholt. Neben dem bereits bestehenden kompositorischen Material erweitere ich an dieser Stelle das musikalische Material noch um eine besondere Dimension der Musiksymbolik. Als Einstein 1922 eine Vortragsreise durch Japan unternahm, fuhr er mit dem Zug unter anderem auch durch die Stadt über der knapp 24 Jahre später die erste A-Bombe gezündet wurde: Hiroshima. Aus dem Grund fand ich es mehr als angemessen, ein japanisches Klagelied einzubauen, das uns bis zum Ende der Oper begleiten wird. Das Lied heisst „Atsumori“ und ist ein traditionelles Lied basiert auf der japanischen Sage des Heike. Im Kampf gegen den Heike Clan, tötete Kumagai den Krieger Atsumori, der im gleichen Alter wie sein Sohn war. Verwendet habe ich daraus nur das Instrumentalvorspiel. Zum Gesang des „Atsumoris“ kommt es nie, weil die A-Bombe vorher bereits alle Stimmen verstummen lässt.

Während die Piloten der „Enola Gay“ sich auf den Abwurf vorbereiten, spielen die Streicher unterschwellig das erste Mal dieses Klagelied. Je weiter das Lied fortschreitet, desto mehr weicht es vom Original ab, wie die vielen Gegenstände, die durch die Hitze der atomaren Kettenreaktion zu schmelzen begannen, so verformt sich auch das Klagelied mehr und mehr, bis es sich in einem hohen Ton auflöst. Nun setzt mit dem Klagelied ein 13-stimmiger Kanon ein. Die Zahl 13 löst seit Menschengedenken bei vielen eine Triskaideaphobie, die Angst vor der 13 aus. Ich verwende diese Zahl aber nicht nur als Zahlder Angst sondern auch als Symbol für die unübersehbaren Massen an Menschen, die durch den Krieg getötet wurden. Der hohe lange Ton, in dem sich der Kanon drei Mal auflöst, symbolisiert den hohen Ton, der im Flugzeug aktiviert wurde, um den Abwurf bei der Mannschaft an zu kündigen. Weiters gibt es noch im Epilog die Wahrheit und Schopenhauer, die, so wie bei der Arbeit mit 10 Tönen symbolisiert ist (siehe Einsteingruppe: Arbeit) und ein Zitat aus meiner Oper AZRAEL.

Bei allem Symbolreichtum und den vielen musikalischen Materialien ist es mir besonders wichtig beim Zuhörer ein eindrückliches und umfassendes Bild von Albert Einstein zu zeichnen. Bei all seiner Disziplin war er ein Freigeist und so gehe auch ich, bei aller strukturellen und inhaltlichen Sorgfalt im Sinne einer musikalischen Charakterisierung oft über die selbst auferlegten Regeln hinaus und lasse die Musik für sich sprechen, wie ein Fluss der manchmal aus geologischen Gründen den Lauf ändern muss um an einer unerwarteten aber logischen Stelle wieder aufzutauchen.

 

 

 

© 2006,  Dirk D’Ase

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EINSTEIN in Amerika

Kommentare zum Libretto

 

Als Einstein mit sechzehn Jahren die Frage aufwarf, wie die Welt wohl aussehen möge, wenn man mit einer Lichtwelle reisen könnte, unterstrich er zum ersten Mal seine Faszination für dieses Element. Viele seiner späteren Entdeckungen basieren auf dem Element Licht: die spezielle Relativitätstheorie, die die Lichtgeschwindigkeit als eine absolute, unveränderliche Größe des physikalischen Weltalls definiert, die Enddeckung des Photons (Lichtteilchen) oder die Vorhersage der Tatsache, dass Lichtstrahlen durch die Schwerkraft abgelenkt werden. Er ging so weit, dass er die letzten dreißig Jahre seines Lebens damit verbrachte, die Erscheinung von Licht und Schwerkraft in einer einzigen Theorie, der sogenannten einheitlichen Feldtheorie, zu vereinen. Ein Vorhaben, das ihm schließlich nicht gelang.

Das Licht als subjektive Wahrnehmung und als realer Faktor durchzieht die gesamte Handlung der Oper. Dieses Einstein’sche Licht hinterläßt überall in Andeutungen, direkten Anspielungen und in Stimmungen Spuren, sowohl beim Rezipienten wie bei den Protagonisten. Die Geschichte besteht aus drei voneinander getrennten Ebenen, die sich gegen Ende immer mehr überlappen, um als gemeinsame Kausalität in der Katastrophe, dem Abwurf der Atombombe, zu enden.

Der B 29 Bomber „Enola Gay“, als Symbol der Zerstörung, bietet den Schauplatz der ersten Ebene. Der Flug nach Hiroshima und der Dialog der Piloten unterbricht drei Mal die eigentliche Handlung. Der Chor als zweite Ebene wiederum läßt eine neue Facette von Einsteins Wesen besser in Erscheinung treten. Abseits vom Bühnengeschehen singt der Chor Texte von Kriegskindern und japanische Tankas und Haikus – das sind japanische Kurzverse mit dem Ziel das Unbestimmte, Unausgesprochene anzudeuten, um den nie wiederkehrenden Augenblick und dessen Stimmung festzuhalten. Somit entsteht ein Bild und ein Nachempfinden der inneren Welt dieses großen Mannes, als Reflexion seiner inneren Kämpfe. Die dritte Ebene ist die Haupthandlung der Oper, die im Jahr 1952 in Einsteins Haus, Mercerstreet 112 und im „Institute for Advanced Studies“ in Princeton (USA) spielt.

Aus der Dunkelheit der Nacht über dem Pazifik tauchen die Piloten Colonel Paul Tibetts und Captain Robert A. Lewis auf (1.Akt/1.Szene). Sie befinden sich im Cockpit der „Enola Gay“ auf dem Weg nach Hiroschima, funken mit dem Piloten des Wettererkundungsflugzeugs „Straight Flush“, streiten darüber, was relativ ist und was nicht. Die Funksprüche wurden nach authentischen Vorlagen rekonstruiert. Heute staunt man darüber, dass die Flughöhe anno 1945 nur 6000 Fuss (ca. 2000 Meter) betrug und man nur ein paar Kilometer weit funken konnte. In unserem Fall wurden die drei Wettererkundungsflugzeuge „Straight Flush“, Jabbitt III“ und „Full House“ angefunkt, die der Enola Gay vorausflogen, um über drei japanischen Städten (Kokura, Nagasaki und Hiroschima) ein Wolkenloch zu finden. Das Wetter an diesem Tag war mitentscheidend über Leben und Tod von tausenden unschuldigen Menschen.

Obwohl Einstein mit der Entwicklung der Atombombe nichts zu tun hatte - J. Robert Oppenheimer war der „Vater“ dieser Bombe - galt er als Übervater wegen seiner ans Mystische grenzenden Autorität in der Öffentlichkeit, wegen der magischen Aura der Formel e=mc2 und wegen der Tatsache, dass er im August 1939 Präsident Roosevelt aus Angst, dass Hitler-Deutschland ihnen mit einer gewaltigen Bombe zuvor käme, auf die Möglichkeit einer Atombombe aufmerksam machte. Die Zerstörungskraft der Bombe hat ihn bis zum Lebensende verfolgt.

Auch Hollberg, Regierungsbeauftragter im Dienste des McCarthy-Untersuchungs-ausschusses, kommt aus der Dunkelheit, als er vor Einsteins Haustür erscheint, jedoch, im Gegensatz zu den Piloten,  begleitet von Blitz und Donner (1.Akt/2.Szene).  Hollberg ist eine fanatische Person, die mit Drohungen und Schmeicheleien Einstein dazu bringen will, endlich vor dem McCarthy-Untersuchungsausschuß zu erscheinen, um öffentlich prüfen zu lassen, ob er aufgrund seines kämpferischen Pazifismus und seiner radikalen Ablehnung von Militär und Aufrüstung nicht ein kommunistischer Agent sei. Mit viel Ironie läßt Einstein Hollbergs Ansturm ins Leere laufen.

Sarah, eine junge, kesse Pressefotografin, ist ein wenig überrascht, als sie an Einsteins Haustür klopft und Hollberg vorfindet, der wütend die Tür aufreißt, um dann kommentarlos in die Dunkelheit zu verschwinden (1.Akt/3.Szene). Auch zu Lebzeiten war Einstein ein begehrtes Objekt der Medien. Er fühlte sich aber sichtlich unwohl in dieser Rolle und wurde, nicht zuletzt von seiner Frau Elsa, geschickt abgeschirmt. Er war eine attraktive, liebenswerte und umgängliche Erscheinung die, trotz heftiger Proteste seiner Frau Elsa, immer wieder Affären hatte. In der Oper ist er bereits ein alter Mann (seine Frau Elsa ist bereits seit 16 Jahren tot), der weiß, dass er nicht ewig leben wird und sich mit dem unausweichlichen Tod mit viel Witz und Humor auseinandersetzt.

Sarah ist gekommen, um Einstein anläßlich seiner 20jährigen Tätigkeit in Princeton für die Presse zu fotografieren. Einstein ist sehr zuvorkommend. Ihm gefällt Sarahs frische und direkte Art. Während sie warten müssen, bis die vom Regen naß gewordenen Batterien der Kamera wieder trocken sind, erzählt sie von ihrer Liebe zum Licht und zu den sichtbaren Dingen und daß ihr, im Unterschied zu Einstein, Sehen immer wieder wichtiger war als Denken. Weswegen sie auch schon früh zu fotografieren begonnen hat.

Franklin, Einsteins Assistent am „Institute for Advanced Studies“, taucht mit den neuesten Berechnungen auf (1.Akt/4.Szene). Er ist fröhlich und charmant und von Sarah sofort begeistert. Als er den Grund für Sarahs Anwesenheit erfährt, berichtet er emphatisch von den Anfängen des Instituts und wie man versucht hat, Einstein wegen seines immer wieder öffentlich verkündeten Pazifismus mundtot zu machen. Engagiert und zum größten Vergnügen Sarahs spielt er ihr vor, wie Einstein sich damals erfolgreich zur Wehr gesetzt hat.

Einstein erzählt von der Zeit, als er an der deutschen Universität in Prag lehrte (1.Akt/5.Szene). Von seinem Fenster aus konnte er auf den Garten einer Irrenanstalt schauen. Er pflegte Besucher an die Fenster zu führen und mit dem Blick auf die sich unter den alten Bäumen ergehenden Geisteskranken zu sagen: „Sie sehen dort den Teil der Verrückten, der sich nicht mit der Quantentheorie beschäftigt.“ Dieses Zitat spielt in der Oper unweigerlich auf seine persönliche Familientragödie an. Seine erste Frau  Mileva Maric litt unter starken Depressionen, was schließlich auch zur Trennung der beiden geführt haben dürfte. Der jüngste Sohn der beiden, Eduard (1910-1965) litt unter Schizophrenie und verbracht die meiste Zeit seines Lebens in einer psychiatrischen Anstalt in Zürich. Schließlich gab es noch eine Tochter die er in Briefen das „Lieserl“ (1902- ?) nannte und die er nie zur Gesicht bekam, vermutlich wurde sie von Dritten adoptiert. Einstein ist wehmütig und traurig. Sarah hat seine Erinnerung an seine längst verschollene Tochter geweckt. Sarah tröstet ihn, was ihm guttut.

Die zwei Piloten unterbrechen wieder das Geschehen und sind ihrem Ziel schon näher gekommen (1.Akt/6.Szene). Als Franklin herein stürzt und einen Einbruch in Einsteins Institut meldet, startet Sarah sofort mit ihrer Kamera (1.Akt/7.Szene). Im Institut trifft sie den Täter, Hollberg (2.Akt/1.Szene), der zwar die Arbeitsräume durchwühlt, aber sichtlich nichts Interessantes gefunden hat. Mit einem Trick versucht er sie als Spitzel gegen Einstein zu gewinnen. Sarah durchschaut die Absicht sehr schnell und dreht den Spieß um. Sie fotografiert Hollberg, der sie daraufhin attackiert. Der inzwischen herbeigeeilte Einstein stoppt Hollbergs Attacken abrupt, indem er ihm ein Bein stellt (2.Akt/2.Szene). Hollberg aber gibt sich noch nicht geschlagen. Er bringt gewaltsam Einsteins neuste Berechnung in seinen Besitz und droht sie zu verbrennen. Einstein macht sich wenig daraus, denn er hat seine Arbeit  immer wieder relativieren können. Er meinte: „Zwei Dinge sind zu unserer Arbeit nötig: Unermüdliche Ausdauer und die Bereitschaft, etwas, in das man viel Zeit und Arbeit gesteckt hat, wieder wegzuwerfen.“ Außerdem weist er darauf hin, daß an der möglichen Vernichtung der Menschheit nicht das Denken und die Wissenschaft schuld sind, sondern die Machtverhältnisse und die Machtgier des Menschen. Trotzdem fühlt er sich schuldig.

 

Einsteins warnende Worte: „Wir brauchen eine wesentlich neuere Denkungsart, wenn die Menschheit am Leben bleiben will. Denn die Zerstörungskraft einer Waffe ist weniger erschreckend, als die Explosionskraft des menschlichen Herzens zum Bösen ... die entfesselte Macht des Atoms hat alles verändert, nur nicht unsere Denkweise“ werden vom Chor, mit Texten von Kriegskindern - Bilder, von  Kindern geschildert die den Krieg überlebten, Bilder der Stille, die unverhofft herrschte und die von den jungen Menschen so aufmerksam wahrgenommen wurde, begleitet  (2.Akt/3.Szene). In den Haikus wird der Feuerball aus der Sicht eines Kindes mit einem Glühwurm verglichen: „ Das verirrte Kind weint und weint und hascht dabei nach dem Glühwurm hoch!...Wie es schnell erglüht, wie es wieder schnell verlischt, Feuerkäferlicht. Feuerkäfer, Feuerlicht...“

Zum dritten Mal unterbrechen die Piloten Einsteins Gedanken (2.Akt/4.Szene). Sie wissen nicht, welche Katastrophe sie gleich auslösen werden. Sie sind müde, aber guter Laune. Mit einem Sarastro-Zitat wird die Morgensonne begrüßt. Sie ahnen nicht, dass sie gleich eine zweite Sonne aufgehen lassen werden. Augenzeugen berichteten, dass das Licht einer Atomexplosion wie eine zweite Sonne erscheint, denn der Lichtblitz einer atomaren Explosion ist so hell, dass ein Mensch in einer klaren Nacht noch auf eine Entfernung von 85 km kurzzeitig erblinden kann. Sobald die Bombe entsichert ist und Hiroschima als Ziel feststeht, sind auch unsere Piloten ein wenig aufgeregt.

Im Epilog verschmelzen nun die drei Ebenen miteinander. Einstein äußert sich sehr pessimistisch über die Entwicklung der Menschheit und fürchtet, dass, wenn alle Bemühungen nichts helfen und die Menschen in Selbstzerstörung enden wollen, es keiner merken wird. Der Kosmos weint uns keine Träne mehr nach. Aber es sei unsere vornehmste Pflicht, zu verhindern, dass diese Waffen zu den Zwecken gebraucht werden, für die man sie erfunden hat. Zwei Mal zieht er mit Schopenhauers Zitat – „Ich kann tun, was ich will. Aber ich vermag nicht, es zu wollen.“ - aus „Über die Freiheit des Willens“ Bilanz. Einstein war fasziniert von Schopenhauers Gedankenwelt und konnte dieser viel abgewinnen. Es handelt sich in Einsteins Glaubensbekenntnis nicht um ein wörtliches Zitat, sondern um eine sinngemäße Wiedergabe. Inmitten des Schopenhauerschen Statements steht ein Zitat aus D’Ases Oper AZRAEL. Der Todesengel und dessen Aufgabe verweben sich hier mit Einsteins eigenen Worten zu einem eindrücklichen Schlussgesang der ein Plädoyer für die Verantwortung darstellt. Der Todesengel Azrael in der gleichnamigen Oper holt die Verstorbenen ab und äußert sich dabei wenig optimistisch über das Menschengeschlecht, genau so wie Einstein zeitlebens die Zerstörungen durch den Menschen verurteilte, Zerstörungen, die inzwischen bis zur Auslöschung alles irdischen Lebens führen können. Am Ende dieser Apokalypse bleibt, was vielleicht auch am Anfang war: gleißendes Licht.

Gustav Ernst

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Pressestimmen zur Oper „Einstein in Amerika"

Die in Ulm uraufgeführte neue Einstein-Oper hätte jeden TV-Pisatest bestanden. Denn der Komponist Dirk D'Ase begriff sie als mathematische Herausforderung, als Versuch, Einsteins mathematisches und physikalisches Denken in Klang und Form zu übersetzen. So hat er eine akustische Entsprechung für die Lichtquanten gefunden, einen neunstimmigen Visions- und Relativitätstheorieakkord ersonnen und viel Zahlensymbolik bemüht. Entscheidend jedoch ist, dass er seine Hauptfiguren - Einstein, die Journalistin Sarah, den Erpresser Hollberg sowie den Haumeister Franklin - musikalisch identifizierbar gemacht hat, am prägnantesten Hollberg, der in seinen fanatischen Hassausbrüchen ein Bruder Alberichs geworden ist. Im Mittelpunkt steht sein Streit mit Einstein und damit die Auseinandersetzung um wissenschaftliche Wahrhaftigkeit. Kunstvoll werden die drei Ebenen Arbeitszimmer, Cockpit und Chormiteinander verwoben. Von Bruno Berger-Gorskis kongenialer Regie bleibt vor allem die Visualisierung des Abwurfs der A-Bombe im Gedächtnis: Plötzlich grelles Licht, Einsteins Bücherregal stürzt zusammen, eine weiße Plane wird aufgezogen, es regnet Asche.  

Die Welt, Jan Schleusener

Da entfaltet Dirk D'Ase freitonale Musik, nuancenreich und klangsatt dargeboten, ihre ganze Imaginationskraft und Farbigkeit. Ausgetüftelte Klangfarben-Effekte (Akkordeon, Glockenspiel, Triangel, Celesta etc.) und kompositorische Finessen dienen der akustischen Umsetzung des in Einsteins Leben so bedeutsamen Lichts; irisierende Streichercluster, gleißende Töne, dramatisch aufgeladene Klangbogen, vertrackte Rhythmen und winzige Reibungen verraten mehr von Einsteins komplexer Innenwelt als das gesamte Libretto. 

Das Orchester, Susanne Rudolph

Ein langgezogener, gleißender Orchesterakkord, ein harter Licht-Schnitt ins Fahle, ein Erstarren: eine beeindruckende musikalische Apokalypse. Lichtdurchflutet jedenfalls ist D'Ases Klangsprache. Mit Harfe, Xylophon, Triangel, Celesta, auch Clustern des Akkordeons markiert er Helligkeit. Überhaupt ist diese großsinfonische Musik, die basiert auf einem mit Zahlensymbolen nur so gespickten seriellen Tonmaterial, auch sinnlich. Und klangmalerisch: Wenn etwa Franklin, der sportnärrische Laufbursche Einsteins, einen Boxkampf markiert, rast der Kontrabass im jazzigen Pizzicato davon. D'Ases kraftvolle Musik brodelt, explodiert; dann wieder schwelgen die Streicher in einer atonalen Melancholie a la Alban Berg. 

Südwestpresse, Jürgen Kanold

Da hat Intendant Ansgar Haag mit dem Österreicher Dirk D'Ase einen idealen Partner. D'Ases Musik ist ausgesprochen sinnlich, farbenreich, lotet das Orchester bis in die leisesten Töne aus. Dabei ist diese Musik in ihrer Struktur hochkomplex, wie es sich für eine Oper gehört, die einen Mann im Zentrum hat, der sich mit theoretischer Physik befaßte. D'Ase arbeitet mit Klang- und mit Zahlensymbolik. Librettist Joachim Stiller aber hat ihm eine hochdramatische Handlung dazu gebaut: Stiller hat ein faszinierendes Stück für das Sprechtheater geschrieben: Auseinandersetzungen mit dem Gegner, Reflexionen über das eigene Tun So vollzieht sich die eigentliche Einsteinoper ganz im Klang, im Orchestergraben, bis hin zum Inferno, dem Abwurf der Atombombe über Hiroshima.

Bayern 2 Radio, Dr. Rainer Gerbst

  

Erschreckend faszinierend: Dirk D'Ases „Einstein" zum 125. Geburtstag des Nobelpreisträgers am Theater Ulm. Das Theater Ulm wagte die Urauf­führung von „Einstein, die Spuren des Lichts" - und erstrahlte. Schuld/Verantwortung in die Wissenschaftsgeschichte vergangener Jahrhunderte einbettend, rücken Dirk D'Ase und sein dramatisch sicherer Librettist Joachim Stiller die Selbstvorwürfe und die Verzweiflung Einsteins ins Zentrum ihrer Oper. Dabei erliegen sie nicht der Gefahr einer tönenden Biographie, sondern brechen ihren Stoff auf. Die Stärken des Librettos und seiner Ulmer Umsetzung ergeben sich nicht zuletzt aus den vielen Doppeldeutigkeiten der eher weltlichen Gespräche im Hause von Einstein. Umgekehrt ergeben sich seltene Ergüsse lyrischer Helden im Bomber-Cockpit: „Die Strahlen der Sonne vertreiben die Nacht." Das „Zauberflöten-Zitat" kann nicht zynischer sein als in den Minuten vor dem Atomblitz. Drei Opern, drei Perspektiven - und doch müssen sie sich zwangsläufig treffen in der überdimensionalen Lebenstragik Einsteins. Dass dieser Atomblitz den in Bann ziehenden Abend von zwei Stunden reiner Spielzeit beschließen würde, war zwar abzusehen gewesen; gleichwohl stellte sich Bestürzung über ihn und Einstein im Ascheregen ein. Selten erlebt man eine Aufführung, in der allein Plot, Text, Regie (Bruno Berger-Gorski) und Ausstattung (Klaus Hellenstein) so schlüssig ineinander verschränkt sind. Und dazu kommt noch Dirk D'Ases ausserordentlich dicht und strukturiert geschriebene Partitur. Es braucht nicht verwiesen werden auf Leitmotivik und Anregungen durch Mahler und die Zweite Wiener Schule (Zahlensymbolik) auch nicht auf die ambivalent eingesetzte Zwölftontechnik einerseits und tradierte Formen andererseits (Terzett, Passacaglia, Chor Lamentationen)- um erkennend zu hören, dass hier eine intensive, ernsthafte Arbeit vorliegt. Natürlich spielt das Licht im groß besetzten Orchester eine herausragende Rolle. Tendenziell drängt das Werk nicht zum tragischen, tiefen Ton, sondern zum aufgeblendeten und sich auflösenden Klang in der Höhe. Und mehr als bemerkenswert bleibt auch, dass die Erregungskurve der Musik über den gesamten Abend trägt, dass sich Klangballungen, Liegetöne (Akkordeon) und Sekundreibungen in der ausgetüftelten Instrumentation nicht abnutzen. Solch Ergebnis in Auftrag gegeben zu haben, darüber kann Ulm sich freuen. Das Theater aber hat die stark applaudierten Meriten einer erschreckend faszinierenden Uraufführung. 

Augsburger Allgemeine, Rüdiger Heinze

  

Requiem für Einstein...beim Hören der feinverästelten, perfekt instru­mentierten Partitur, deren Substanz etwa durch Instrumente wie Akkordeon und Celesta bereichert wird, herrscht die symphonisch schillernde Aura des Rückblicks, in getragenen, kaum wechselnden Tempi, die nur selten aufbrechen, so bei der Komposition des Feuers, das auf einen Leitrhythmus komponiert ist, oder in der Gewalttätigkeit Hollbergs. Fast ein Requiem ist so entstanden, bei dem Thomas Mandl am Pult nicht nur für Präzision sorgt, sondern auch dafür, dass der Gesten- und Farbenreichtum der Partitur voll zur Geltung kommt. Bruno Berger-Gorski inszenierte in diesem Raum schlicht und konzentriert, fokussierte alles Geschehen auf die Figur Einsteins als eines einsamen Alten, der alle Mitglieder seiner Familie verloren hat, von den Gedanken an die Opfer der Atombombe nicht loskommt und sich von der Welt verabschiedet.

Opernwelt, Klaus Kalchschmid

  

Dirk D'Ase ist ein Freund von Symbolen, auch die Komposition ist durchsetzt von Zahlensymbolik: die Vollkommenheitszahl Sieben für Einstein, es gibt einen neuntönigen Visions-, oder Relativitätstheorie-akkord oder eine Hollberg-Spirale im 21-tönigen Fibonacci Gewand. Der Berio-Schüler Dirk D'Ase, hat sich in seiner Wahlheimat Wien kompositorisch einen einigermaßen festen Platz erobert. Man war also gespannt, und musikalisch bewies D'Ase durchaus Sinn für plastischen Klang, der unter anderem an Berg geschult ist. Das waren die stärksten Seiten dieser Partitur mit abseitigen Chorsequenzen auf Zitatbasis und mit emphatischen Aufschwüngen.

Süddeutsche Zeitung, Reinhard Schulz

Mit intensiven Quellenstudien und einem Zeitzeugen Einsteins begab sich der Komponist auf die Suche nach einem Stoff für die Oper. Belebend wirkt hierbei die Musik von Dirk D'Ase, die emotional tiefgreifend ist. Mit einem großen Orchesterapparat mit Celesta und Geräuschen werden unterschiedlichste Mischklänge erzeugt, das dynamische Spektrum ist groß. Der Gesang ist rezitativisch erzählend und lässt die Thematik ohne Verzögerung fortschreiten. Eine wichtige musikalische Ebene ist der vom Tonband zugespielte Chor, Diese Chorstellen sind Haikus, japanische Klagelieder und Texte von Kriegskindern aus Bosnien und sie reflektieren Einsteins Gedankenwelt, deshalb sind sie auch so im Hintergrund, und die Haikus passen ganz genau zum Inhalt, was in dem Moment gesagt wird und was passiert. So kommt das musikalisch lautmalerisch aber dennoch einfallsreich komponierte Finale, in dem die Bombe hochgeht nahezu ohne Materialaufwand aus.

Bayern 4 Klassik Radio, Erika Habenicht

Diese Passagen der Baritonpartie vermögen anzurühren. Dabei ist die vorzügliche Instrumentalmusik sehr farbig, reichhaltig im Wechsel von zarter Delikatesse und saftiger Akzentuierung. Die mehr auf Reduktion denn auf Kraft setzende Klangsprache kommt hie und da fast wie ein Mahler diesseits der Atonalität daher. Sie zeigt sich nicht illustrativ, was gut ist. Doch sie kommentiert auch höchstselten. Das Schlussbild in grellem Licht  ist Teil eines starken Finales. Der fast depressive Einstein gibt sich eine Mitschuld am Bau der Atombombe und beklagt die Hilflosig­keit des Wissenschaftlers mit Schopenhauer: ,Ich kann tun, was ich will. Aber ich vermag nicht, es zu wollen." 

Schwäbische Zeitung, Günter Buhles

Die Musik D'Ases wirkt vor allem auf der emotionalen Ebene. Sie ist kraftvoll bei Einsteins ersten Auftritten, bedrohlich wenn der Erpresser die Aufzeichnungen des Physikers zu verbrennen droht, zart und hell, wenn Einstein und die Fotojournalistin Sarah einander sympathisch werden. Bis zum Ende der Oper begleitet den Zuhörer zudem ein japanisches Klagelied, das sich mit der fortschreitenden Bedrohung durch die Atombombe verändert und schließlich in einem hohen Ton auflöst. Die eingängige bis aufwühlende Sprache der Musik. 

Frankfurter Neue Presse, Heidi Ossenberg

Ein genialer Wirrkopf, von verstaubten Büchertürmchen umstellt. Gut drei Jahre hat es gedauert, ehe der Komponist Dirk D'Ase eine Form gefunden hat, die Person Einstein einzukreisen, verständlich zu machen durch Musik. Und hat dabei ein symbolische Sprache gefunden, die das mathematische, analytische Denken des Physikers nachzuvollziehen sucht. D'Ase schickt den Zuhörer in ein symphonisches Werk voller Klangsymbolik. Noch ehe der große Sohn der Stadt auf der Bühne erscheint ist er schon präsent - als sieben Tonfolgen - und bleibt es bis zum Schluss. Angelehnt an kabbalistische Zahlensymbolik bedeutet die Sieben Vollkommenheit. Begleitet von vier kontrapunktisch eingesetzten Stimmen, weist D'Ase Einstein auch die Zahl Fünf zu, die Zahl des Wandels, der Sinnlichkeit und des Abenteuers. Ihm zur Seite steht die Figur der Sarah, eine Pressefotografin, deren 15 Töne ein Klang von Hoffnung und Jugendlichkeit hinterlässt. Zu kabbalistischen Trias fehlt nur noch die Gewalt, der Erpresser mit einer ins Absurde steigenden Spirale aus kleinen Intervallen. Die Musik bekommt ein Korsett verpasst, das ihr gut steht.

Den ernsthaftesten Augenblick des Abends bringt das allerletzte Bild, in dem die Oper dem Zeit seines Lebens außenstehenden Einstein am nahesten kommt. Inmitten eines dickflockigen Ascheregens sitzt es da, das Genie, die Bücher sind längst verschwunden unter einer Schicht grauen Staubes, die Musik raunt in ihren Klangsymbolik noch etwas von Schuld und Vergebung, ehe das Licht abrupt erlischt begleitet von einer hochkomplexen Musik - das ist es ja vielleicht, das Geheimnis des Albert Einstein.

Deutschlanradio, Susanne Lettenbauer

Aus dem groß besetzten Orchesterwerden Harfe, Akkordeon und Klavier, die am Bühnenrand positioniert sind, hervorgehoben und immer wieder stimmungsvoll eingebracht. Die zurückhakende, aber keineswegs spröde Komposition, ist insgesamt von Wehmut geprägt, und vermag tief zu berühren.

Opernglas, KFS

D'Ase Musik ist bei aller komplexen Strukturierung äußerst sinnlich, das Licht wird wie ein flirrender Klangteppich vorgestellt, Einstein mit samtenen Tönen altersweise gestaltet, Gegenspieler Hollberg mit spitzen Ternortönen charakterisiert. So vollzieht sich die eigentliche Einsteinoper ganz im Klang, im Orchestergraben, bis hin zum Inferno, dem Abwurf der Atombombe über Hiroshima.

Landshuter Zeitung, Rainer Zerbst

Klangreise in Sachen Einstein:

Dirk D'Ases Einstein-Oper geht mit apokalyptischen Realitäten so um, dass sie zum Mahnmal der Menschheit werden. Im synästhetisch erfahrbaren Spannungsfeld von Musik und Sprache, Zeitgeschichte und Fiktion zeigt sich das Philharmonische Orchester der Stadt Ulm ganz am Puls des Dirigenten Thomas Mandl. Dirk D'Ases, mit flirrendem Knopfakkordeon, Harfe, Celesta und Klavier kammermusikalisch durchwirkter, spannender Klangreise in Sachen Einstein.

Neue Ulmer Zeitung, Roland Mayer

Albert Einstein kommt zu Opernehren: Augenzeugen berichteten, dass das Licht einer Atomexplosion wie eine zweite Sonne erscheint… In der Uraufführung wird dieser Schluss glänzend-gleißend, geradezu unvergesslich in Szene gesetzt. Nach dem Explosionslicht sieht man Einstein inmitten einer leeren, dunklen Bühne gedankenversunken hell angestrahlt mitten im herabfallenden "Aschenregen" sitzen. Dabei "mündet" die Musik in einen einzigen langen, hohen Ton von eindrucksvoll beklemmender, ambivalenter Symbolik: Ist es Verzweiflung oder Hoffnung, was die Musik vermittelt?

Damit sind wir bei dem Wesentlichen dieser neuen Oper, ihrer Musik. Dirk D'Ase ist eine insgesamt sehr eindrucksvolle und einfallsreiche Komposition gelungen. Dabei ist sie keineswegs, wie es oft bei zeitgenössischer Musik der Fall ist, ausschließlich intellektuell - "kopflastig", sondern D'Ase versucht, den ganzen Menschen anzusprechen und auch emotional zu "treffen". Er ist erfinderisch im Erzeugen von seltenen Klangfarben zugunsten einer akustischen Visualisierung. Es entsteht ein musikalisches Werk, das auf vielfältige Weise Einsteins Faszination durch das Licht, die die ganze Oper durchzieht, musikalisch reflektiert.

Beispielsweise veranschaulicht D'Ase Einsteins Entdeckung der Lichtquanten dadurch, dass er "auf einen liegenden Klang rhythmisch gleichmäßige Impulse aufsetzte". Seiner eigenen Deutung der Komposition entnimmt man ferner, dass er auch gänzlich Abstraktes in Töne umzusetzen versucht: so erfindet er einen "Relativitätstheorieakkord". Man staunt darüber, wie stark hier ein zeitgenössischer Komponist die Zahlensymbolik noch als wichtiges Kompositionsprinzip verwendet. Beispielsweise wird Einstein akustisch durch 7 Töne symbolisiert, nicht etwa, weil diese Zahl die Vollkommenheit repräsentiert, sondern weil damit "das Ausmaß seiner geistigen und weltlich-sozialen Überlegenheit unterstrichen" werden soll. Weitere zahlensymbolische Elemente werden damit sehr geistreich und kunstvoll verbunden. Hoch komplex werden auch die wissenschaftliche Arbeit und das verlorene Manuskript Einsteins musikalisch zueinander in Beziehung gesetzt. Die verlorene Arbeit, die einen ergreifenden Aufschrei auslöst, symbolisiert "vor allem die Vergänglichkeit der Menschheit auf Erden". Natürlich hat man als Laie Mühe, auch nur einige dieser Bauprinzipien bei der Aufführung wiederzuerkennen. Entscheidend ist die Gesamtwirkung, und sie überzeugt.

Wolfgang Riehle, Grazer Opernfreunde

Dass Dirk D'Ase farbig instrumentieren und Orchesterklänge wirkungsvoll in Szene setzen kann, wurde in Ulm ohrenfällig. Ein Terzett im zweiten Akt gibt Einstein, Sarah  und Franklin Gelegenheit zu vokaler Entfaltung der brillant einstudierte Chor mit seinen kontrastreichen Kommentaren.

Stuttgarter Zeitung, Werner Müller-Grimmel